Als Lola Montez auf dem Tisch tanzte: Das Beethovenfest von 1845

Als Lola Montez auf dem Tisch tanzte: Das Beethovenfest von 1845

Heutzutage sind die „Beethovenfeste“ fast Routine. Sie finden jährlich statt. Es gibt eine stabile Finanzierung (Über die Jahre 1993 bis 1998 decken wir den Mantel karitativen Schweigens.), eine frühzeitig planende Intendanz und eine feste Verankerung in der Stadtgesellschaft. Beim ersten Beethovenfest im Jahr 1845 war das alles ganz anders.

 

Anlass für die Feierlichkeiten war nicht nur der 75. Geburtstag des 1827 verstorbenen Meisters, sondern vor allem die Einweihung des Beethoven-Denkmals des Dresdner Bildhauers Ernst Hähnel auf dem Münsterplatz. Alles ging auf eine, wie wir heute sagen würden, „bürgerschaftliche Initiative“ zurück. An ihrer Spitze stand anfangs mit August Wilhelm Schlegel einer der Großen der deutschen Gelehrtenwelt. Sein Nachfolger war eine weniger gute Wahl. Heinrich Carl Breidenstein, der „Musikdirektor“ der Universität, war zwar ein ausgewiesener Fachmann aber ein schwieriger Charakter. In der Bonner Stadtgesellschaft war er stets umstritten und wurde auch aufgrund seiner Begeisterung für moderne Musik (außer Beethoven verehrte er Liszt und Berlioz) offen angefeindet. Seiner Aufgabe, in einer kleinen Stadt (Bonn hatte damals noch keine 20.000 Einwohner.) ohne Infrastruktur und Erfahrung ein Musikfest mit hunderten von Gästen zu organisieren, war er schlicht nicht gewachsen. Verkompliziert wurde die Sache noch dadurch, dass sich während der Vorbereitungen herausstellte, dass König Friedrich Wilhelm IV. und als sein Gast Queen Victoria ihre Aufwartung machen wollten. Die Unterstützung von Franz Liszt, die schon gebraucht worden war, um die Finanzierung des Denkmals zu stemmen, war eine zweischneidige Angelegenheit. Liszts Verbindungen waren hilfreich, sein überbordendes Selbstbewusstsein war es nicht. Er polarisierte und forderte Kritik geradezu heraus.

Friedrich Liszt Als Liszt einige Wochen vor dem Fest, in dem er neben dem kurhessischen Hofkapellmeister Louis Spohr als Dirigent wirken sollte, in Bonn eintraf, drückte er den Dingen sofort seinen Stempel auf. Die von Breidenstein als Konzertsaal ins Auge gefasste Reitbahn der Husaren vor der nördlichen Stadtmauer – nach einer zeitgenössischen Quelle eine „stinkende Hütte“ – lehnte er rundheraus ab. Als Ergebnis ist das vielleicht größte Wunder der ansonsten an Wundern nicht gerade reichen Bonner Baugeschichte zu verzeichnen: In weniger als zwei Wochen errichtete eine Arbeitsgemeinschaft von Bonner Schreinern mit Unterstützung des Kölner Dombaumeisters Zwirner eine hölzerne Festhalle in den „Raess‘schen Gärten“. Wir kennen diesen Bereich heute als den Parkplatz im Viktoriakarrée. Bei einer Höhe von etwa 7 m maß das Gebäude rund 62 × 23 m. Wie die Zeitgenossen auf diesen nur gut 1.400 qm eine Kapazität von bis zu 3000 Besuchern plus Orchester und Chor errechneten, will sich uns heutzutage allerdings nicht erschließen. Das „Bayernzelt“ auf Pützchens Markt braucht für solche Größenordnungen mehr als 2.000 qm. Jedenfalls sollen die Konzerte von jeweils um die 2000 Menschen besucht worden sein. Die Halle wurde übrigens wenige Wochen nach Ende des Festes auf Abbruch verkauft. Der Wunsch des Korrespondenten der „Leipziger illustrirten Zeitung“ blieb somit unerfüllt. Noch Ende September hatte er der Halle ein langes Leben als Musikort und nicht als „Narrhalle“ gewünscht. Ein wenig erinnert das an die aktuellen Diskussionen um die Nutzung der heutigen Beethovenhalle.

Nicht zuletzt Liszt war es zu verdanken, dass sich am Vorabend der Feierlichkeiten hunderte auswärtige Gäste in Bonn versammelt hatten. Neben den Beethoven-Enthusiasten – unter ihnen viele Engländer und eine größere Gruppe von Franzosen mit Hector Berlioz an der Spitze – kam auch Liszts persönlicher Fanclub (überwiegend Damen, die ihm fast bis zur Hysterie gewogen waren). Dazu zählte das „It-Girl“ ihrer Generation, die Tänzerin und Skandalnudel Lola Montez. Wie nah sie in diesem Tagen dem Maestro stand, war offensichtlich.

Der Start des Festes war nicht schlecht. Das Eröffnungskonzert am Abend des 10. August unter dem Dirigat von Louis Spohr brachte Die Neunte und die Missa Solemnis zu Gehör. Sogar die kritischen Kritiker waren zufrieden – obwohl Spohr zugab, er habe die Missa gar nicht gekannt und sie sich in einem Crash-Kurs kurz vor dem Konzert aneignen müssen. Am nächsten Tag war sozusagen Ruhetag. Das Programm beschränkte sich darauf, ein „Dampfboot“ auf den Namen Ludwig van Beethoven zu taufen und mit ihm eine Tagestour nach Nonnenwerth zu unternehmen. Bei dieser und manch anderer Gelegenheiten hielten die Bonner die Hand auf. Die auswärtigen Gäste fanden das unüblich, und sogar der einheimische Gottfried Kinkel klagte über die um sich greifende, Geschäftstüchtigkeit und das ausufernde Merchandising.

Der wesentliche Anlass für das Fest, die Enthüllung des Denkmals am 12. August, stand nicht mehr unter einem guten Stern. Nach einem Hochamt im Münster, bei dem Berlioz über eine Absperrung flanken musste, um seinen Sitz zu erreichen, versammelte man sich dicht gedrängt auf dem Münsterplatz. Ehe die Hoheiten, aus Brühl kommend, auf den Balkon des Fürstenbergschen Palais, der heutigen Post, erschienen, dauerte es eineinhalb Stunden. Der von Breidenstein komponierte und „von einem Männerchor abgeschriene“ Festgesang wurde ebenso vom Winde verweht wie seine zu leise vorgetragene Rede. Die Enthüllung selbst war dann allerdings nicht der „Skandal“, von dem so mancher Nachgeborene wissen will. Königin Victoria vermerkt in ihrem Tagebuch lediglich, dass es unglücklich gewesen sei, dass man die Statue nur von der Rückseite habe sehen können. Nicht sie, sondern König Friedrich Wilhelm IV. war es, der seine Überraschung, nur für seine unmittelbaren Nachbarn hörbar, zum Ausdruck brachte. Der neben ihm stehende Alexander von Humboldt machte mit seiner Antwort die Angelegenheit zur bekanntesten Anekdote der Bonner Stadtgeschichte: „Majestät wollen berücksichtigen, dass Beethoven auch zu Lebzeiten ein grober Kerl war.“

Der Abschlusstag war der 13. und in der Tat ein Unglückstag. Das große morgendliche „Künstlerkonzert“ begann mit einstündiger Verspätung, obwohl der König darum gebeten hatte, ohne ihn und seine Gäste anzufangen. Der Egomane Liszt zögerte den Beginn dennoch hinaus, weil er seine eigens komponierte Kantate nicht ohne royale Begleitung dirigieren wollte. Das war nicht durchzuhalten, aber wie das Unglück es wollte, kamen die hohen Gäste in dem Moment, in dem das Stück beendet war. Also ließ der Maestro von vorne beginnen. Das restliche Publikum war „not amused“. Nach einigen weiteren Programmpunkten mussten sich die Fürsten nach Köln begeben, um den Dom zu besichtigen. Man war wieder unter sich und hatte noch zwei Stunden Musik zu gewärtigen. Als die Zeit für’s Mittagessen kam, verließen die meisten Zuhörer den Saal („Zu viel der Qual !“). Das Konzert dauerte noch bis halb zwei.

Der Tiefpunkt wurde am Abend beim Festbankett im „Hotel zum goldenen Stern“ am Markt erreicht. Trotz vieler Trinksprüche würdigte Liszt die französische Delegation nicht. Das führte zu Tumulten. Die anwesenden Damen flüchteten. Nur Lola Montez blieb und tanzte auf dem Tisch. Liszt musste sie in ihrem Hotelzimmer einschließen, dessen Mobiliar sie prompt zertrümmerte.

Bei den Beethovenfesten unserer Tage geht es gesitteter zu. An 1845 erinnert nur noch das ikonische Denkmal auf dem Münsterplatz. Und das ist vielleicht auch gut so.

 

Beethovenfest Bonn – nicht nur 2025

Beethovenfest Bonn – nicht nur 2025

Am 28. August ist es soweit: Das Beethovenfest 2025 wird unter der Schirmherrschaft von Hendrik Wüst, dem Ministerpräsidenten des Landes NRW, eröffnet und rund 100 Veranstaltungen werden in der Zeit bis zum 27. September in und um Bonn folgen. In dieser Zeit steht die Stadt Bonn ganz im Zeichen ihres größten Sohnes Ludwig van Beethoven und seiner Musik.

Die Festspiele blicken auf eine lange und traditionsreiche Geschichte zurück. Erstmalig stattgefunden haben sie im Jahr 1845 anlässlich der feierlichen Einweihung des Beethoven-Denkmals auf dem Bonner Münsterplatz. An dessen Realisierung war der Komponist Franz Liszt maßgeblich als Financier wie auch als künstlerischer Leiter der gesamten Feierlichkeiten beteiligt. Er erfand dazu kurzerhand ein mehrtägiges Festival und gestaltete in einem eigens in 11 Tagen erbauten Festsaal als Dirigent das musikalische Geschehen. Es war der Beginn einer bis heute lebendigen Festivaltradition, zuerst nur an bedeutenden Beethoven-Gedenktagen stattfindend gab die Pianistin Elly Ney den Festspielen in den 30er Jahren einen regelmäßigen Turnus. Seit dem Bau der neuen Beethovenhalle, 1959, finden sie alle 2-3 Jahre und seit 1999 jeden Herbst über vier Wochen statt. Die Bonner finden das gut so, sie unterstützen das Fest mit zwei Vereinen, dem „Freundeskreis Beethovenfest Bonn eV“ und dem Verein „Bürger für Beethoven“ und danken mit regelmäßigem Besuch.

Von jeher versteht sich das Festival als Brücke zwischen Tradition und Innovation und nimmt Beethovens Werke nicht als museales Opus, sondern als Inspirationsquelle für eine musikalische Auseinandersetzung. Beethovens Musikstücke werden aufgeführt, neu interpretiert und zeitgenössischer Musik gegenüberstellt, darüber hinaus wird mit Kompositionsaufträgen eine moderne direkte Auseinandersetzung gefordert.

Dazu passt das diesjährige Festivalmotto frei nach J.W.von Goethe: „Alles ultra“. Der Slogan steht für das Streben nach Neuem, kreative Innovation sowie das Überschreiten von Grenzen. Zwar hatte Goethe 1825 mit „Alles aber… ist jetzt ultra! Alles transzendiert unaufhaltsam, im Denken wie im Tun“ die Maßlosigkeit seiner Zeitgenossen als problematische Entwicklung mit der Folge von Orientierungslosigkeit und Mittelmäßigkeit angeprangert, doch in Bonn deutet man heute, 2025, „Alles ultra“ um und versteht das Zitat nicht nur als Deutung des Weltgeschehens sondern vor allem als Ausdruck Beethovens Naturells und seines musikalischen Genies. Denn gerade der unangepasste Beethoven habe häufig unbekannte Wege eingeschlagen und sei die Zukunft aktiv und innovativ angegangen. Passend dazu stellt der Intendant Steven Walter in Aussicht „in rund 100 Veranstaltungen unsere bunte, quirlige und bei allen gesellschaftlichen Sorgen auch chancenreiche Gegenwart zu feiern. Ein Festival, das der menschlichen Vielfalt, den positiv Verrückten und den humanistischen „Ultras“ gewidmet ist – ganz im Geiste Beethovens“ und verspricht: „Das Beethovenfest Bonn 2025 wird laut, es wirdüberraschend, es wird schick, es wird ergreifend – und ganz sicher ultra!“ – Na denn!

Schaut man das Programm des Beethovenfestes durch, entdeckt man tatsächlich ein munteres Potpourri aus Konzertformen. Da sind selbstverständlich die großen Symphoniekonzerte berühmter Orchester, die über die Festivalwochen verteilt Werke von Beethoven (2.,3.,5.,6.,7.,8. Symphonie sowie das Violinkonzert – schließlich ist es ja nach wie vor das Beethovenfest), aber auch symphonische Werke von Mozart, Schostakowitsch, Strawinsky u.a. in der Oper spielen. Daneben fallen die vielen Kammerkonzerte auf, die an den unterschiedlichsten Veranstaltungsorten stattfinden: Die klassische Kammermusik , Klavier und Streicherensembles, ist vorzugsweise im Kammermusiksaal des Beethovenhauses vertreten. In den anderen Häusern mischen sich die Aufführungen entsprechend dem Motto „Alles außer klassisch“, bei denen auf ungewöhnliche Weise neues und auch improvisiertes Zusammenspiel verschiedener, zum Teil durchaus klassischer Instrumente, ungewohnte wiewohl faszinierende Klangerlebnisse hervorrufen. So finden sich in der Kreuzkirche z.B. Cross-Genre Klangwelten, ein begehbares Musiktheater und entspannte Feierabendkonzerte. In den Kleinkunsttheatern „Pantheon“, „Harmonie“ und „Haus der Springmaus“ mischen sich die Aufführungen bunt und an der Straßenbahnhaltestelle Dransdorf sind Percussionkonzerte angesagt.

Seit jeher zeichnet sich das Beethovenfest Bonn durch seine internationale Ausstrahlung und hohe künstlerische Qualität aus. Dabei dient das Programm als Plattform der Begegnung und des künstlerischen Austauschs zwischen renommierten Musikern und aufstrebenden Nachwuchstalenten. Im Rahmen des „Fellowship Programms“ und der „Beethoven Talents“ erhalten junge Musiker mit exklusiven Masterclasses, Coaches und Konzerten die Möglichkeit, den Sprung auf die Bühne zu schaffen.

Diesen Weg hat der Bonner Pianist Fabian Müller, inzwischen Star der Bonner Musikszene, hinter sich. Mit fünf Konzerten ist er auf dem Beethovenfest vertreten. Er dirigiert sein eigenes Orchester mit den Beethoven-Symphonien Nr. 2 und Nr. 3 und bringt an vier Abenden sein Projekt zu Ende, alle 32 Beethoven-Sonaten, verteilt auf zwei Festivals, zu spielen. Vor jedes Beethovenwerk schaltet er sein eigenes musikalisches Vorwort. Ihn zu hören ist ein Genuss, ein Besuch eines seiner Konzerte dringend zu empfehlen.

„Alles Ultra“ vom 28. August bis 27. September 2025 in Bonn? Das Beethovenfest, in seiner Mischung von traditionell und innovativ, wird uns eine knisternde Mischung bieten, bei der sicher jeder etwas für sich findet und darüber hinaus sich noch verführen lassen kann, etwas Neues zu wagen. Ich freue mich drauf!

Der Mai in Bonn ist kalt und grau –  Le Carrés „Eine  kleine Stadt in Deutschland“

Der Mai in Bonn ist kalt und grau – Le Carrés „Eine kleine Stadt in Deutschland“

Sieht man von den heute scheinbar unvermeidlichen Lokalkrimis und einigen autobiographisch geprägten Sonderfällen ab, kommt Bonn als Romanschauplatz kaum vor. Das gilt auch für seine Hauptstadtjahre. Von den wenigen Romanen, die die Politik der „Bonner Republik“ zum Thema haben, genügt allein Wolfgang Koeppens „Das Treibhaus“ als Schlüsselroman der jungen Bundesrepublik höchsten literarischen Ansprüchen. Außerhalb Deutschlands ist er leider kaum bekannt.

Damit hat Bonn in der Weltliteratur nur ein einziges Eckchen. Geschaffen hat es ihm John Le Carré (eigentlich David John Moore Cornwell, 1931-2020) in seinem 1968 erschienenen Roman „A Small Town in Germany“ (dt. „Eine kleine Stadt in Deutschland“). Der Autor des „Spions, der aus der Kälte kam“ und literarische Vater von George Smiley wird in Deutschland meist der Trivialliteratur zugeordnet. Im englischen Sprachraum gilt er, zu Recht, als einer der bedeutendsten Autoren der jüngeren Vergangenheit.

„A Small Town in Germany“ gehört zu den weniger bekannten Büchern Le Carrés. Das mag daran liegen, dass es  – anders als die meisten seiner Werke der sechziger und siebziger Jahre – nicht um das Thema des Kalten Krieges kreist und ohne den Anti-Bond George Smiley auskommt. Die Handlung ist vielmehr in die Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland eingebettet und damit einem internationalen Publikum weniger zugänglich als der weltumspannende Ost-West-Konflikt. Sie spielt ausschließlich in Bonn und seiner näheren Umgebung. Dabei greift Le Carré auf Erfahrungen zurück, die er selbst gemacht hat. Von 1961 bis 1963 war er – damals noch nicht ausschließlich Schriftsteller – vom britischen Auslandsgeheimdienst in Deutschland stationiert; zeitweise under cover als Zweiter Sekretär in der britischen Botschaft in Bonn.

Die Handlung spielt, wie Le Carré einmal an anderer Stelle bemerkt hat, vom Erscheinungsjahr des Buches aus gesehen in einer „nahen Zukunft“ – schaut man genau hin: im Mai 1970. Das politische Panorama, das den Hintergrund bildet, ist düster. Le Carré setzt es aus Elementen zusammen, die die Innenpolitik der Bundesrepublik in den sechziger Jahren mit geprägt haben, fügt Erfundenes und Zugespitztes bei und lässt eine unschöne Dystopie entstehen: Nach wie vor regiert die Große Koalition. Die oppositionelle FDP ist von zwielichtigen Gestalten mit Wurzeln in der NS-Zeit unterwandert. Es besteht eine mächtige politische Allianz zwischen der Studentenbewegung und einem, heute würden wir sagen, Rechtspopulisten. Ziel ihres Hasses ist Großbritannien. Im Bundestag wird immer noch über die Notstandsgesetze debattiert, eine Amnestie für Nazi-Verbrecher tritt in Kraft, und in Brüssel laufen die Beitrittsverhandlungen zwischen der EWG und Großbritannien schlecht. Das Land steht am Rande großer Unruhen.

In dieser Lage kommt ein Troubleshooter aus London nach Bonn. Dort ist ein nachgeordneter Mitarbeiter der Botschaft verschwunden, anscheinend untergetaucht. Spionageverdacht steht im Raum. Alan Turner soll die Sache aufklären. Während einiger Wochen im Mai durchleuchtet er die Abläufe in der Botschaft, deckt die z.T. schmutzigen Geheimnisse des Personals auf und kommt dem Gesuchten, seinem Charakter und seinen Motiven immer näher. Dieser Gesuchte ist, wenn man so will, der eigentliche Protagonist des Romans. Dennoch begegnet er dem Leser so gut wie nicht – nur je einmal kurz am Anfang und am Ende des Buches. So viel sei verraten: Es geht überhaupt nicht gut aus.

Le Carrés Bild von Bonn ist genauso düster wie die Handlung. Es beginnt mit dem Wetter – obwohl Mai, ist es durchgängig diesig und feucht. Wärme will nicht aufkommen, und vieles spielt in der Nacht. Le Carré nimmt eine Atmosphäre vorweg, wie sie später J.K. Rowlings Dementoren verbreiten werden. Die Stadt ist eng und kleinkariert – genauso wie die Republik, die sie geboren hat. Dieses Bild ist zusätzlich mit all jenen Vorurteilen dekoriert, die dem Bonner Lokalpatrioten immer schon weh getan haben: Es regnet, oder die Schranken sind zu; das Nachtleben findet in Köln statt; Bonn wurde Hauptstadt, weil Adenauer das wollte; es ist Wartesaal für Berlin usw.. Das zwinkernde Auge, mit dem diese Sprüche in Bonn gerne begleitet wurden, fehlt völlig. Der Autor meint es bitter ernst. Dazu erfindet er noch eigene Gemeinheiten. So sind in Bonn sogar die Fliegen verbeamtet.

Eingewoben in diese Buchkulisse sind viele detailgenaue Beschreibungen. Sie reichen von Universität und Bahnhof über das Rathaus und die (2004 der Telekom geopferte) britische Botschaft  bis hin zu den Diplomatensiedlungen in Plittersdorf und Bad Godesberg. Der Protagonist wohnt am Hang des Petersberges, und die Verkehrsprobleme werden genau beobachtet. Wer den Roman unter diesem Aspekt liest, mag verfolgen, wie Le Carré die Stadtgeographie und auch einzelne Gebäude so verändert, dass sie den Notwendigkeiten der Romanhandlung angepasst werden. Und natürlich beschreibt er die Gebäude und Strukturen, wie er sie aus den frühen sechziger Jahren in Erinnerung hat. Sie entsprechen dem Bonn des Jahres 1970 nicht mehr; und schon garnicht dem unserer Tage. Eine solche Spurensuche macht Spaß!

Warum Bonn bei seinem einzigen Auftritt in der Weltliteratur so negativ daherkommt, muss offen bleiben. Das mag damit zu tun haben, dass Le Carré schlechte Erinnerungen an seine Bonner Zeit hatte. Und natürlich ist es auch dem düsteren Sujet geschuldet. Tröstend mag sein, dass er in seinen Büchern eigentlich alle Schauplätze von ihrer hässlichen Seite zeigt. Und vielleicht steckt  ja auch ein winziges Körnchen Wahrheit in seinem Bonn.